This time it could be different

Liebe Leute, ich bin an Euren (subjektiven) Eindrücken zum Europawahlkampf interessiert. Das Motto der Wahl ist diesmal ja: „This Time it’s different“ — davon merke ich aber bislang nirgendwo etwas. Ihr?

Ob in Hamburg, Schleswig-Holstein oder Niedersachsen. Ich beobachte nirgends eine stärkere Politisierung des Wahlkampfes, weil sich kaum eine Partei unterscheidbar zu den anderen äußert. Stattdessen überall »Mehr-Rhetorik«: „Mehr Europa“, „mehr Arbeit“, „mehr Wohlstand“. Alternativ wird der Status Quo bemüht: „Wohlstand sichern“, „stabiler Euro” etc.pp.. Unterschiedliche Konzepte? Weit gefehlt!

Dort wo Kommunalwahlen sind werden diese in den Mittelpunkt gerückt und die EP-Wahlen zu Wahlen dritter Klasse degradiert. Wären die Menschen besser informiert, würde ich vielleicht meinen, das geringe Interesse läge daran, dass ohnehin jeder weiß, dass es eine große „Koalition“ geben wird. Aber daran kann es nicht liegen, weil selbst politische Akteure oft miserabel informiert sind. Ich habe an Ständen, in denen ich mich unwissend gab, schon alles mögliche gehört. Der schönste zweifache Unsinn war noch der, dass ich einen Kandidaten X wählen solle, weil dieser dafür stünde, dass die EU nicht noch mehr Schulden mache…

Was mich besonders frustriert: außer bei der SPD spielen Spitzenkandidaten fast nirgends eine Rolle, teilweise nicht einmal bei den Jugendorganisationen der Parteien, die ich sonst oft als besonders EU-affin erlebt habe.

So konnte ich heute bei einer Veranstaltung, die die JEF Hamburg auf dem Campus organisierte, auf die Frage nach den Spitzenkandidaten vom JU- und Juli-Vertreter hören, dass deren Spitzenkandidaten Roland Heintze bzw. Alexander Graf Lambsdorff seien, während Juncker und Verhofstadt nicht einmal erwähnt wurden. Der Grüne Jugend Vertreter zählte inflationär gleich drei Spitzenkandidaten auf: Ska Keller, Rebecca Harms und Sven Giegold. Jose Bove hingegen wurde als einziger Nichtdeutscher nicht einmal erwähnt, was nicht an der Kürze der Aufzählung gelegen haben wird… Einzig der Juso-Landesvorsitzende nannte Martin Schulz und sagte ein paar Sätze zur Kommission.

Kurzum: es war auf dieser Veranstaltung wie auf jeder Veranstaltung, die ich bislang sah: eine inflationäre Anzahl von Spitzenkandidaten, deren einziges besonderes Merkmal ist, dass sie auf irgendeiner von vielen Listen auf Platz 1 stehen. Spitzenkandidaten, die aber anders als die europäischen Spitzenkandidaten ansonsten für kein besonderes Amt designiert sind und keinerlei besondere Funktion haben… Gäbe es die viel gescholtenen Medien nicht, dann müsste man fürchten, dass überhaupt kaum ein Wähler je den Namen eines europäischen Spitzenkandidaten hören würde.

Liebe Parteien, das können selbst ARD und ZDF ein wenig besser!

11 Gedanken zu „This time it could be different

  1. Lieber Lars,

    sicherlich, da ist noch viel Potential. Nur erkenne ich einen leichten Widerspruch in Deinem Artikel: auf die recht offene Frage der Spitzenkandidaten wurden teilweise die (wählbaren) Lokalmatadoren genannt, teilweise (vor Ort gar nicht wählbare) europaweite Spitzenkandidaten. Klar, hier hätte jetzt jede Partei drei Personen aufzeigen können, wie bei anderen Wahlen auch. Das kritisierst Du aber. Vielleicht mit Recht, verwirrt es doch auf den ersten Blick.

    Aber ist nicht genau das der richtige Weg: ein Spitzenkandidat für den „Wahlkreis“, ein Spitzenkandidat für das (Bundes-) Land, ein Spitzenkandidat für die „Gesamtpartei“? Nun müssen wir nur das Wahlsystem dahin reformieren, als dass die übergeordneten Spitzenkandidaten auch auf dem Wahlzettel auftauchen. Bislang haben ja selbst in Deutschland die Parteien unterschiedliche Systeme – Landes- und Bundeslisten. Da ist noch viel Potential.

    • Lieber Carsten,
      natürlich kann man für jede Ebene einen Spitzenkandidaten benennen. Ich frage mich nur, was daraus – außer einer Inflation der Spitzenkandidaten – folgt. Denn irgendein Spitzenkandidat zu sein bedeutet ja erst einmal fast nichts; abgesehen vom vielleicht sicheren Einzug in das Europaparlament.

      Was zeichnet McAllister, Lambsdorff, Harms oder Giegold, jenseits ihrer persönlichen Qualitäten, denn aus? Ihre „Spitzenkandidatur“ bedeutet nichts und führt eher zur Wählerverwirrung, weil wir letztlich ja keine Personenwahl haben, sondern Listen wählen (und seien es, wie bei der Union, Landeslisten).

      Die einzigen Spitzenkandidaten, die jenseits ihrer persönlichen Qualitäten, herausstechen sind die europäischen, denn diese wurden von den europäischen Parteien bzw. Parteienfamilien ins Rennen geschickt als Kandidaten für das Amt des Kommissionspräsidenten. Es ist mithin das Analogon zur Wahl des Kanzlers bzw. der Kanzlerin: ich weiß, wenn ich diese Person wähle und mit mir genügend andere, dann bekomme ich eine „Regierung“, die von dieser einen Personen, und nur von dieser einen Person, geführt wird. Es geht also um eine Führungsfrage die für den Wähler Relevanz hat.

      Ich würde Dir allerdings zugestehen, dass es in Hamburg nicht gänzlich absurd ist von regionalen Spitzenkandidaten zu reden, da hier „Spitzenkandidat“ gleichbedeutend ist mit „zieht vermutlich als einziger Vertreter dieser Partei ins Parlament ein“. Das gilt allerdings nicht für alle Regionen Deutschlands und es gilt auch nicht für nationale Spitzenkandidaten. Tatsache ist, dass die europäischen Spitzenkandidaten indirekt gewählt werden — so wie die Kanzlerin. Wer für CDU/CSU stimmt, der weiß, dass dies eine Stimme für Juncker ist. Wer Sozis wählt, der weiß, dass die Stimme Schulz bei seinem Ansinnen Kommissionspräsident zu werden, unterstützen wird.

      Ich muss leider sagen, dass ich insbesondere mit der Union und ihren zahlreichen Spitzenkandidaten, sowie mit den Grünen, die ebenfalls viel zu viele Pferde im Rennen haben, nicht sehr zufrieden bin.

      Denn eines ist doch klar: je weniger bekannt die Spitzenkandidaten sind und je weniger das Amt des Kommissionspräsidenten in Mittelpunkt der Kampagnen steht, umso schwerer wird es die KOM zu politisieren und den Rat dazu zu bewegen auch einen der Spitzenkandidaten zu benennen. Denn ob es wirklich so kommt, wie es die europäischen Parteifamilien dem Wähler versprechen ist leider noch nicht endgültig entschieden.

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