Ungarn (2): Warum man gegen die Politik eines Mitgliedstaates demonstrieren darf – und muss!

Dieser gemeinsam von Vincent Venus und mir geschriebene Artikel wurde am 23. März 2012 im Treffpunkt Europa Online veröffentlicht.

Die Jungen Europäischen Föderalisten (JEF) und die Europa Union Deutschland (EUD) rufen am kommenden Samstag zur Demonstration auf. Zusammen mit „Mehr Demokratie e.V.“ fordern wir die ungarische Regierung auf, ihre in vielen Bereichen fragwürdige Politik zu korrigieren und Teil der europäischen Wertegemeinschaft zu bleiben.

Seitdem wir vor gut einem Monat zur Demonstration aufriefen, erhielten wir viel Zustimmung, aber auch Kritik. Einige Kritiker äußerten sich in unqualifizierter Weise, so wurden zum Beispiel die Mitglieder von EUD und JEF abwechselnd als Kommunisten oder Faschisten beschimpft. Derartige Äußerungen haben wir ignoriert. Die Mehrzahl der Kritiker ging allerdings auch auf unsere Argumente gegen die Politik Ungarns ein und versuchte, sie zu widerlegen ­- durchaus mit edlen Motiven.

So wurde zum Beispiel die Sorge geäußert, dass Druck von Außen die Rechtsextremisten der Jobbik im Inneren stärken könnte, oder aber, dass die Kritik an konkreter Politik als Kritik an der ungarischen Bevölkerung verstanden werden könnte. An beidem ist uns natürlich nicht gelegen und bei beiden Sorgen können wir einsehen, dass sie nicht unbegründet sind und diese Gefahr in der Tat besteht.

Wir glauben jedoch nicht, dass diese Gründe ausreichend dafür sind, dass wir uns mit unserer Kritik zurückhalten sollten. Denn diese hat einen existentiellen Charakter. Wir kritisieren nicht das ein oder andere schlecht geratene Gesetz, sondern wir kritisieren reale Rückschritte in der Presse- und Meinungsfreiheit und bei demokratischen und rechtsstaatlichen Grundprinzipien. Und wir kritisieren den Geist dieser Gesetze, die von der Regierungskoalition zumeist im Eilverfahren durch das Parlament gepeitscht wurden.

Die Jungen Europäischen Föderalisten setzen sich seit Ihrer Gründung im Jahr 1949 für das Fernziel eines bundesstaatlich organisierten Europas ein. Ein europäischer Bundesstaat – oder auch Zwitterkonstruktionen wie der Staatenverbund der EU – können auf Dauer nur funktionieren, wenn sie eine liberale Wertegemeinschaft bilden. Diese muss den Grundsätzen der Pluralität folgen, getreu dem Motto der EU: in Vielfalt geeignet. Diese Vielfalt darf allerdings nicht als Beliebigkeit verstanden werden. Das europäische Projekt kann nur funktionieren, wenn es einen Fundament an gemeinsamen Grundwerten gibt. Dies sind mindestens die universalen Menschenrechte, und auch eine beschränkte Zahl an spezifisch europäischen Bürgerrechten.

In allgemeinster Form sind diese Werte in der Europäischen Menschenrechtskonvention und in Artikel 2 EUV festgehalten, zu denen sich jeder Mitgliedsstaat bekannt hat. Die Europäische Union ist damit bereits heute weit mehr als ein gemeinsamer Markt. Es ist eine Union von Recht und Gesetz. Das Recht in Ungarn tangiert daher nicht nur Ungarn, die in Ungarn leben, sondern auch nicht-ungarische EU-Bürger, die in Ungarn leben oder sich dort aufhalten. Aufgrund der Unionsbürgerschaft innerhalb der EU können diese zurecht die Erwartung haben, dass gravierende Verstöße gegen europäische Normen sanktioniert werden.

Außerdem wirkt Ungarn als Mitgliedsstaat an der Rechtsgestaltung der Union mit! Das bedeutet, dass die ungarische Regierung im Ministerrat über Gesetze mitentscheidet, die europaweit gültig sind. Sollten sich in der ungarischen Rechtspraxis Gepflogenheiten herausbilden, die Grundsätzen der EU entgegenstehen, könnte es sein, dass Ungarn sich irgendwann nachdrücklich dafür einsetzt, europäische Standards innerhalb der EU zu reduzieren.

Aus diesem Grund ist die derzeitige Politik der ungarischen Regierung kein rein ungarisches, sondern ein innereuropäisches Problem! Darüber zu diskutieren und nach Lösungen zu suchen, liegt in der Verantwortung jedes EU-Bürgers, jedes Demokraten und besonders jedes europäischen Föderalisten.

Wir JEFer legen Wert darauf, dass die Aussage „Europa ist eine Wertegemeinschaft“ heute gilt und auch morgen gelten wird. Als Europäer haben wir nicht nur das Recht, sondern auch die Pflicht, uns einzumischen. Wir sorgen uns um Ungarn.

Unsere Haltung könnte man in die folgende Metapher zusammenfassen: Wenn ein Mensch auf Abwege gerät, dann müssen seine Familie und Freunde ihn an den richtigen Weg erinnern. Ungarn gehört zur europäischen Familie. Und deshalb werden wir vor der ungarischen Botschaft zeigen, dass wir mit der aktuellen Entwicklung unzufrieden sind. Wir bitten die Regierung Ungarns, sich zu überlegen, ob ihr eingeschlagener Weg wirklich der richtige ist.

Lesen Sie in Teil eins die Kritikpunkte, wegen der die JEF auf die Straße gehen wird.

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